Von Liebe noch nicht der Beweis (Uwe Hergenröder)

So können so genannte „Problemstücke“ gesellschaftliche Verantwortung wahrnehmen

Ob der Versuch gelingen würde, dem Briefwechsel Carl und Thea Sternheims ein abendfüllendes Drama entwachsen zu lassen? Die Neugierde darauf schien sich angesichts eines gerade mal halb vollen Theaters jedenfalls in Grenzen zu halten. Die Anwesenden selbst aber – soweit sie Anhänger großer Schauspielkunst waren – durften sehr bald Teilnehmer eines bemerkenswerten Theatererlebnisses werden. Dies war zuallererst dem subtilen Spiel Christine Ostermayers zu danken, das von Beginn an zu fesseln wußte: eine schöne Frau, die Stolz, Würde und Klugheit verkörpert, Schauspielerpersönlichkeit genug, um kultiviert damit umzugehen.

Bereits das Bühnenbild – zwei getrennt nach hinten verlaufende Ebenen von unterschiedlicher Schräge – zeugte von behutsamem und bewußtem Einsatz, der äußeren Mittel, die stets den Blick auf das eigentliche Geschehen freihielten. So war es dann auch die steiler aufsteigende Treppe, die Heinrich Giskens als Carl Sternheim sein abgehobenes und selbstgefälliges Dichterdasein unterstrich; das Geländer am Ende der Schräge zeigte dabei seine eigenen Grenzen auf, Grenzen, die sich gegenüber Theas Handeln nicht auftaten. Giskens verlieh seiner Rolle ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit, die des manchmal allzu genußvollen Auskostens besonders unangenehmer Charaktereigenschaften Sternheims gar nicht immer bedurft hätte. Hier zeigte sich Christine Ostermayer mit schier untrüglichem Gespür für eine geschlossene Spielanlage überlegen.

Gleichwohl: der verbale, ungemein nuancenreiche Kampf der beiden in ihren Briefen – er um Anerkennung, Geld und Liebe, sie um Teilhabe an seiner stets aufs neue beschworenen Berufung gehört zum Besten, was Lindaus Bühne schauspielerisch in letzter Zeit zu bieten hatte. Hier wurden nicht nur Rollen gespielt, sondern Kunst zelebriert, hier wurde Teilnahme an menschlichen Schicksalen erspielt und nicht zum Amüsement geladen: Vorgänge, die so nur Theater leisten kann, und die ihm nicht abhanden kommen sollten.

Es paßt in diesen Zusammenhang, daß bei der jüngsten Auswahl der Stücke für die nächste Saison im Kulturausschuss immer wieder die Angst vor sogenannten „Problemstücken“ deutlich wurde. Zweifelsohne: „Von Liebe noch nicht der Beweis“ gehört zu dieser Kategorie, und die Angst vor einer schwachen Publikumsresonanz ist demnach berechtigt. Wenn also die Stadtkasse ärmer, Theaterbesucher nach Aufführungen wie dieser aber innerlich reicher werden – ist das Grund genug, solche Stücke irgendwann ganz zu meiden? Vielleicht sind sie schon allein deshalb unverzichtbar, weil sie verhindern helfen, den viel zitierten „Kulturauftrag“ allein auf eine möglichst hohe Platzausnutzung und die bestmögliche Konsumierbarkeit zu reduzieren. „Problemstücke“ schärfen auch das ProblembewußProblembewusstseintsein, und hier immerhin nehmen sie gesellschaftliche Verantwortung wahr.

Rund vierzehn Tage wird es nun nach diesem Drama um Carl und Thea Sternheim bis zum nächsten Stück dauern; vielleicht vermag es den Wunsch nach Theater eindringlicher wachzuhalten als mancher „Erfolgsgarant.“ Es ist dem Theater zu wünschen – und seinen Zuschauern auch.