Heikles Thema brillant serviert
„Etwas aufgeregt“ seien sie schon, er und seine fleißigen MitarbeiterInnen im Kulturamt. Dazu freilich bestand weder für Alexander Warmbrunn noch für seine Crew der geringste Anlass. Bei seiner Begrüßung, in der er für das Theater als Ort der künstlerischen Vielfalt und der Diskussion warb, konnte Warmbrunn auf ein nahezu ausverkauftes Haus blicken. Die Schauspielerin Iris Berben wirkte an diesem Abend als Publikumsmagnet.
Die Stimmung im Publikum war geprägt von Wohlwollen und neugieriger Erwartung. Denn die jetzige Mannschaft im Kulturamt hat für ihre 40 kommenden Veranstaltungen höchste künstlerische Qualität in Aussicht gestellt. Dafür bürgte bereits beim Saisonauftakt Iris Berben als „Star des Abends“, und ebenso das Shalom-Ensemble, das ihre Texte in überaus berührende Musik einbettete. Denn berühren, so die Hoffnung von Alexander Warmbrunn, solle die Kunst über alle Sparten hinweg. Insofern war das Zusammentreffen der beiden wichtigsten Elemente im Stadttheater, nämlich Sprache und Musik, eine erste Gelegenheit, sich vom diesem Anspruch zu überzeugen.
„Verbrannte Bücher – verfemte Musik“ – für einen Veranstalter bedeutet ein solcher Titel normalerweise: wenig Besucher, bedrückende Atmosphäre, finanzielles Risiko. Das sieht natürlich auch Iris Berben so.
In einem entspannten Gespräch nach der Aufführung bekannte die Schauspielerin freimütig, dass sie ihre Popularität ganz bewusst für ihr Anliegen „missbrauche“, um so ein möglichst großes Publikum anzusprechen: ihrem Anliegen nämlich, sich wider das Vergessen zu engagieren. Es ist der Schauspielerin mittlerweile zum Lebensthema geworden.
Dabei ist es in ihren Lesungen keineswegs so, dass sie auf Betroffenheit oder Fassungslosigkeit angesichts des Unrechts setzt, das insbesondere den Juden widerfuhr. Ihre Textauswahl führt dem Zuschauer vielmehr vor Augen, welch aberwitzige Kriterien seinerzeit angesetzt wurden, um als Schriftsteller oder Komponist als „undeutsch“ gebrandmarkt zu werden.
Die Texte stammen von Karl Kraus, Kurt Tucholsky, Stefan Zweig oder Joseph Roth; mehr als einmal trieft es dort vor beißendem Sarkasmus, prickelnder Erotik, unverhohlener Ironie und sprachlicher Kraft – was Wunder, wenn die damaligen Machthaber vergebens nach Elementen in den Werken dieser Künstler suchten, die „das Deutsche“ verherrlichten oder wenigstens deutlich hervorhoben. Solche Texte wurden verboten und verbrannt. Und es war jenes „Vorspiel“, von dem Heine sagt: „Dort, wo man Bücher verbrennt, verbrennt man am Ende auch Menschen.“
Nicht anders war es mit der Musik: Diejenige von Juden stand ohnehin auf dem Index, und wer sein Talent nicht für brave Schlager einsetzte wie dem eingangs gespielten Ilse Werner-Lied („Sing ein Lied, wenn Du mal traurig bist“) oder für markige Märsche, der geriet schon bald unter Verdacht.
Insofern ist es auch ein Verdienst dieser Veranstaltung, wenn mit dem Shalom-Ensemble vier Musiker auf der Bühne standen, die großartige Kammermusik jüdischer und anderer „verfemter“ Komponisten – etwa von Erwin Schulhoff, Paul Ben-Haim oder Gustav Mahler – aufführten. Es waren Werke von unerhörter Tiefe, musikalischer Kraft und berückender Melancholie; verstörende Töne oftmals, die eben manchmal „durchschlagender“ sein können als die Sprache der Worte, wie es im damaligen „Reinheitsgebot für Musik“ hieß.
Iris Berben ist Künstlerin genug, um die wunderbaren Texte nicht zur Selbstdarstellung zu nutzen. Sie kommen deshalb selbstverständlich einher, manchmal heiter, sogar mit einer gewissen Leichtigkeit – stets aber mit großer Glaubhaftigkeit.
Mag sein, dass zur Jubiläumsveranstaltung „60 Jahre Stadttheater Lindau“ auch eine fröhliche und spektakuläre Theateraufführung gepasst hätte. Doch das sensible Zusammenspiel zwischen souveräner Schauspielkunst, musikalischer Klasse und einem heiklen Thema hat jetzt auf ganz andere Weise gezeigt, was einen großartigen Abend in Lindaus Stadttheater ausmachen kann