Verdichtung von Kunst und Sprache
Peter Browers schlankes Bühnenbild ersparte uns glotzende Gipsköpfe auf wackeligen Helmen, Virgil und Ariost, die ehrwürdigen Dichter, schafften es auch mit der textilen Variante ihrer Namenszüge – der eine am vorderen Bühnenrand, der andere links hinten -, Tasso in ihrem verlockenden Bann zu halten. Solch zeitgemäßer Annäherung freilich entzieht sich Goethes Sprache. Fünffüßige Jamben ziehen sich durch die fünf Aufzüge des „Torquato Tasso“. Zweieinhalb Stunden verbleiben auch nach Kürzung von rund einem Drittel des ursprünglichen Textes.
Zweieinhalb Stunden, die eine Menge dessen bereit hielten, was das Besondere beim Theater ausmachen kann, ein wenig auch davon, was gemeint ist, wenn von „Theatralischem“ die Rede ist.
Verdichtung von Kunst und Sprache, hier wurden sie wieder erfahrbar: Goethes Sprachkunst, der Gebrauch seiner Kunst-Sprache, der bei aller Üppigkeit ihrer sprachlichen Mittel so gar nichts an Künstlichem, Aufgesetztem, anhaftet. Reichlich Stoff also für die Darsteller dieses Dramas. Würde sein Thema, das ja vor allem auch die Stellung des Dichters innerhalb der Gesellschaft behandelt, seinen nur in Glücksfällen eingelösten Anspruch nach Einmischung in die Politik, deutlich machen?
Bernhard Letitzky als Herzog Alphons und Stefan Matousch als dessen Staatssekretär Antonio bildeten ein überzeugendes Team, dem man die verantwortungsvolle Bewältigung ihrer großen politischen Aufgaben ohne Bedenken zutraute. Ihr souveräner Umgang mit Goethes anspruchsvollem Text war geprägt von großem Ernst und Können, wenngleich sie die Weite des Lindauer Theaters in allzu leisen Passagen bisweilen zu unterschätzen schienen. Ein Genuss besonderer Art war Gerlinde Lockers imponierende Sprachkultur, gegen die – allerdings auf hohem Niveau – Morena Bartel als Prinzessin es einfach schwerer haben mußte. Mit großen, „klassischen“ Gesten bewegte sich dieses Quartett auf dem erhöhten Bühnenquadrat und ließ stets die Absichten der sorgfältigen Regiearbeit erkennen.
Eine der wichtigsten scheint dabei gewesen zu sein, den Charakter der Titelfigur möglichst deutlich zu überzeichnen, ihn zu übersteigern. Die Schwierigkeit für seine Umgebung, ihn und seine eingeengte Sicht der Dinge zu erfassen, die gepaart ist mit einem immer größeren Hang zum Verfolgungswahn, konnte so besonders deutlich werden. Der Dichter als Fremdkörper gewissermaßen, allenfalls geeignet als Mittel zur Repräsentation oder zur Steigerung der eigenen Eitelkeit.
Charsten Klemm also. Tasso und seine Launen. Tasso, der Unverstandene.
Tasso, der Sinnliche. Der Mann für alle Fälle. Und die sind ja im Theater bekanntlich anderer Natur. Klemm ist ganz offenbar ein begnadeter, leidenschaftlicher Schauspieler.
Wahrscheinlich sogar ideal für Rollen wie Tasso. Die Vorgaben, die er für ihn erhalten hat, wurden ganz sicher mehr als erfüllt. Gepaart mit einer klaren, verständlichen Stimme kann er ein Stück wie dieses über mehrere Stunden hinweg prägen, und das hat er auch getan.
Und doch: wenn man einen der anwesenden Schüler gebeten hätte, mal zu zeigen, wie man sich so einen typischen klassischen Schauspieler vorstellt, würde das Ergebnis vermutlich viel Ähnlichkeit mit Klemms Spiel gehabt haben. Ohne dieses im mindestens abwerten zu wollen: die Frage, ob der Zugang zu dem gewiss schwierigen Thema der Tasso-Figur damit eher verstellt als unterstrichen wird, stellt sich da schon, und sie schien auch einige der Zuschauer beschäftigt zu haben. Gleichwohl: es war ein beeindruckender und intensiver Abend, den die Zuschauer im gut besetzten Theater mit respektvollem Applaus belohnten.