„Steinkes Rettung“ – eine verstörende „Boulevardkomödie“
Tochter Miriam im besten Teenageralter hat sowieso genug von dieser „5-Sterne-Scheiße.“ Ihr Kompromiss-Angebot: „Wie wäre es, wenn ihr mich solange zur Adoption frei gebt?“ Vorschlag abgelehnt. Es bleibt dabei: Zwangsurlaub in den Bergen, weil Vati Entspannung braucht. Mal wieder den Kreis der Familie entdecken, die sonst nur „Deko für sein Ego“ ist. Vati, der Unabkömmliche, ist nämlich Workaholic. Selbst zuhause nennt man diesen Werner Steinke deshalb Captain, und so waren sich die Firma Transtec und Ehefrau Gerit einig: eine Almhütte muss es sein. Bauer Matti – laut Miriam „Jetis Nachgeburt“ – würde dafür sorgen, dass es ihnen an nichts fehlt. Steinkes fünf Handys werden weggepackt, dasjenige von Miriam zertrümmert die Mutter. Und Miriams Freund Carlo wird bestimmt schnell lernen, wer im Hause Steinke den Ton angibt, selbst wenn das jetzt über den bayerischen Tälern liegt. Angesichts des grandiosen Ausblicks dorthin entfährt es Miriam immerhin: „Wow, die Eremiten haben’s drauf!“ Bisher also beste Voraussetzungen für eine Komödie nach bewährtem Muster, Happy End in Sicht. Doch was jetzt folgt, sind Module aus Kriminalroman, Psychodrama und ausgeprägter Gesellschaftskritik: Zwei Morde, paranoide Ausfälle und eine erschreckend anmutende Abarbeitung dessen, was unsere Leistungsgesellschaft aus Menschen machen kann, denen ein hoch bezahlter Job zum alleinigen Lebenszweck geworden ist – jedenfalls in Firmen, in denen das Prinzip „All or nothing“ gilt.
Spätestens an dieser Stelle wird es Zeit, auf die bezwingenden Leistungen des Staatstheaters Cottbus hinzuweisen, das die Akteure dieser Inszenierung ins 700 Kilometer entfernte Stadttheater Lindau geschickt hat: Auf die kesse Johanna Emil (!) Fülle, die tausend Facetten der alles durchblickenden Miriam so plausibel auf die Bretter bringt; auf Oliver Seidel, der als Freund Carlo so überzeugend daran erinnert, wie verquer die Gedankenwelt des Schwiegervaters in spe schon festgezurrt ist und sie diesem mit allen Mitteln der (Schauspiel-)Kunst vor Augen führt; oder an Sigrun Fischer, die sich als Ehefrau ebenfalls längst in dieser Welt eingerichtet hat und viel zu spät -und dann mit tödlicher Konsequenz – merkt, welch großer Lebenstäuschung sie in all den Jahren aufgesessen ist. Schließlich Rolf-Jürgen Gebert, der die immense Herausforderung seiner auf zunehmende Schizophrenie angelegten Rolle bravourös meistert und dafür auch mit Sonderbeifall belohnt wird
Der Name „Steinkes Rettung“ könnte manche Erwartungshaltung auf die falsche Fährte gebracht haben – jedenfalls gehören Verlauf und Ausgang des Stückes vordergründig nicht zu den Dingen, die man sich unter einer Rettung, die ja meist mit dem Adjektiv „glücklich“ verbunden ist, vorstellt. So muss man Steinkes Wellness-Unterfangen wohl eher unter der Überschrift „vergeblicher Rettungsversuch“ einordnen. Als stimulierender Lockruf gegenüber dem geneigten Theaterpublikum hätte sie ihre Wirkung trotz des Hinweises auf eine „böse Boulevardkomödie“ aber vermutlich verfehlt.
So aber kamen immerhin über dreihundert Besucher, die wohl allesamt von der bestechenden Stringenz dieser Inszenierung erfasst wurden, denen der Übergang vom anfänglichen Humor zur giftigen Gesellschaftssatire aber gewiss einen gehörigen Schrecken eingejagt hat. In jedem Falle aber wurde das Versprechen der Kulturmacher, ihrem Publikum auch die Begegnung mit zeitgenössischen und gesellschaftsrelevanten Stücken zu ermöglichen, mit Bukowskis Stück auf hohem Niveau eingelöst.