Shakespeares Falstaff (Edwin Zbonek)

Tourneetheater in seiner verführerischen Form

Seine Sorge, eines Tages im Jenseits von Shakespeare geohrfeigt zu werden, dürfte unbegründet sein: Edwin Zbonek hat mit „seinem“ Falstaff zwar ein Stück inszeniert, das von Texten und Zitaten des Meisters nur so wimmelt. Einen Schönheitsfehler aber hat es: von Shakespeare ist es nicht. Dieser hat zwar das Kind „Falstaff“ gezeugt, ausgetragen aber wurde es in den Königsdramen Heinrich IV und V, besonders liebevoll umsorgt von den „Lustigen Weibern von Windsor.“

Nun aber widmet Zbonek ihm all seine Aufmerksamkeit, verweist sämtliche Heinrichs, Hof- und Dorfprominenz auf die Plätze, um der populären Bühnenfigur den ihr würdigen Raum einzuräumen. Sein Liebesdienst gelingt. Es assistieren: Horst Eder, dem trotz Krone und Bart vielleicht ein paar Einheiten zum Idealgewicht des mächtigen Heinrich IV. fehlen: Sohn Harry (Jörg Walter), dessen Faszination an der so anderen Welt Falstaffs ebenso undeutlich bleibt wie seine Hilflosigkeit, mit dieser als König Heinrich V, klarzukommen; das komödiantische Gespann aus Dorfpfarrer (Dieter Kaiser), Sheriff (Herbert Mako) und Poet (Raimund Lang), dem prächtige, genußvoll ausgespielte Szenen gelingen:

Halunke Poins (Dirk Schmidt) und Schimmel (Michael Holdinghausen), dessen arg zusammengeschrumpfter IQ einer souverän durchgehaltenen Rollengestaltung nie im Wege steht; und schließlich Roswitha Dost, die sich neben ihrer glaubhaft differenzierten Darstellung der Wirtin von der „Wilden Sau“ ganz nebenbei als Sängerin fürs Kabarett-Fach empfiehlt.

Zurück aber zu dem, was die Erinnerung an den gut besuchten Theaterabend letztlich wachhalten könnte. Zunächst – man muss es einfach erwähnen – die immer wieder überwältigende Sprachgewalt Shakespeares: Wie sie da scheinbar vornehm daherkommt, wie sie beiläufig Aktuelles berührt, leichtfüßig, aber treffsicher Zeitloses für sich reklamiert, beeindruckt stets aufs Neue. „Shakespeare“, so Zbonek, „war das größte Genie, welches das Theater bis heute hervorgebracht hat.“ Recht hat er.

Gepaart mit all dem Spielwitz und Facettenreichtum, wie ihn Karl Heinz Martell aufzuweisen hat, muß einem um die Faszination des Theaters nicht bange werden. Kabinettstückchen wie das virtuose Diktat Falstaffs an die ferne Geliebte, deren Vermögen und Existenz sich leider als Trugschluss herausstellten, gehören in diese Reihe; ebenso der so wahre Monolog über hehre Luftblasen namens Krieger-Ehre oder auch der herrlich bezeichnende Vater-Sohn-Dialog: Szenen, die sich einprägen. Martell bewältigt mühelos jede darstellerische Disziplin, schlittert in zotigen Sprüchen, ohne auszurutschen, und verspritzt seinen beißenden Spott an der Welt gepflegter Illusionen, ohne sie ganz zuzudecken. Sein Falstaff beginnt dort, wo dem Tollpatsch nichts mehr einfällt.

Und so kreisen seine Mitspieler wie Satelliten um einen mächtigen Planeten, nähern sich ihm zuweilen in respektvollem Abstand, ohne je Gefahr zu laufen, seine Bahn ernsthaft zu stören: Tourneetheater in seiner verführerischen Form.

Das Publikum ließ sich’s gern gefallen: „Genuss, dem Reue fremd ist“.