Legende vom heiligen Trinker (Joseph Roth)

Ernst Konarek wird zum Stadt-Schauspieler

Zu den Neuerungen, zwischendurch vielleicht sogar Wagnissen, des Profils im Theaterprogramm gehören Stücke, die sich vom gängigen Angebot abheben. Das führt gelegentlich zu Irritationen, Andererseits wurde der Publikumskreis erweitert, die Diskussionen über Aufführungen vertieft und das Bewusstsein für die Bedeutung solcher Auseinandersetzungen gestärkt. Besseres kann einem Intendanten – und als solchen muss man Kulturamtsleiter Alexander Warmbrunn eigentlich bezeichnen – gar nicht passieren, zumal die Besucherzahlen steigen.

Zu einem Baustein dieser Bemühungen gehören seine guten Beziehungen zum Stuttgarter Theater und insbesondere zu Staatsschauspieler Ernst Konarek, dessen bekanntes Gesicht für ihn zum Erscheinungsbild des Lindauer Theaters gehört und das er als solches etablieren möchte.

Mit dem durchaus umstrittenen „Indien“ machte Konarek in der vergangenen Saison den Anfang. Jetzt stand er mit Joseph Roths „Legende vom heiligen Trinker“ auf der Bühne. Beide Male – und das wird ihn hoffentlich nicht darauf festlegen – spielte Alkohol eine wichtige Rolle.

Trotz der überzeugenden Leistungen der drei Schauspieler sind es diesmal vor allem das Konzept und die Regie von Silvia Armbruster, die diese Aufführung so bemerkenswert machen. Denn die „Legende vom heiligen Trinker“ ist kein Theaterstück, sondern eine Novelle. Um Roths ebenso melancholische wie humorvolle Erzählung, die ständig zwischen Traum, Wirklichkeit und den banalen und verklärenden Folgen eines Katers irrlichtert, auf die Bühne zu bringen, bedarf es also einiger Fantasie. Den besten Einfall hatte die Regisseurin deshalb wohl mit der Entscheidung, den Trinker Andreas dreifach zu besetzen. Dieser Umstand ermöglicht es zudem, bei Bedarf einen Erzähler zur Verfügung zu haben, noch häufiger aber einen Spieler oder eine Spielerin für die jeweiligen Szenen: Lisa Wildmann, Wolfgang Seidenberg und natürlich Ernst Konarek glänzten neben ihrer dreigeteilten Hauptrolle beispielsweise als Tänzer/in, Saufkumpan, Fußballspieler und Edelnutte.

Wandlungsfähige Darsteller

Genau das gehörte zu den besonderen Theatererlebnissen, weil man Schauspieler in ihrer bewunderungswürdigen Wandelungsfähigkeit beobachten konnte. Die überaus sensibel eingesetzte Musik wechselt dabei elegant zwischen den Szenen der Erinnerung, der Realität und den Träumen des „heiligen Trinkers“. Verstärkt wird dies durch eine Lichtregie, die punktgenau auf diese Vorgaben einging.

Erzählt wird die Geschichte des obdachlosen Andreas, der auf wundersame Weise zu 200 Francs kommt, die er gelegentlich der Heiligen Therese in der Pariser Kirche St. Marie de Batignolles zurückbringen soll. Doch wie bei Alkoholikern üblich, kommt selbst bei bester Absicht immer etwas oder jemand dazwischen. Und stets kostet er Geld, das eigentlich jemand anderem zugedacht war. Meist ist es eine Kneipe, die auf dem Weg liegt, oft sind es Menschen, mit denen man das Wiedersehen feiern muss. Wie durch ein Wunder findet sich von da ab jedoch stets eine Möglichkeit, den ausgegebenen Betrag wieder aufzufüllen. Bis zum Schluss, wo Andreas während einer Vision der heiligen Therese in besagter Kirche bereut und schließlich stirbt, bleibt die eigentümliche Spannung, die über diesem gesegneten Obdachlosen-Leben schwebt.

Ihren Reiz erhält sie in dieser Inszenierung durch das perfekte Zusammenspiel von Spiel, Musik und Choreographie und der Kunst, mit diesen Elementen eine Atmosphäre zu erschaffen, die den Text und den-Geist der ursprünglichen Novelle stets in den Mittelpunkt stellt.