Geistvolle Auseinandersetzung mit zwischenmenschlichen Beziehungen
Welch wohltuender Unterschied zum Tag davor! Shaws Komödie „Helden“ demonstrierte eindrucksvoll, dass die muntere Heiraterei am Schluß eines Stückes keineswegs einem späten Entschluss des Autors entspringen muß, vorangegangenen Fragwürdigkeiten ein gnädiges Ende zu bereiten (wie im „Mandarin- Zimmer“); nein, es kann das miterlebte Ergebnis zwischenmenschlicher Prozesse durch geistvolle Auseinandersetzung sein – eine Tugend, die gerade Shaw besonders gut beherrscht.
Schon der sprachlich kultivierte Auftritt von Sabine Falkenberg im verführerischen Nachtkleid versprach eine glaubwürdige Umsetzung der Majorstochter Raina Petkoff. Ihre zweifelhafte, von erheblichem gesellschaftlichen Ballast geprägte Beziehung stattete sie mit nuancenreichem Spiel aus. Der mit ihr noch verlobte Miniheld Sergius Saranoff fand in Martin T. Haberger einen auch optisch passenden Darsteller, dessen heftige Annäherungsversuche gegenüber der schönen Dienerin Luca allerdings bei größerer Zurückhaltung noch intensiver gewirkt hätten.
Nikolaus Scheibli variierte Shaws sympathischen Antihelden, den Schweizer Hauptmann Bluntschli mit satter Lebendigkeit. Den Gebrauch des eidgenössischen Dialektes dosierte er prächtig. Ihm hat Shaw ein ganzes Bündel von Lebens-, besonders aber Überlebensweisheiten anvertraut, die Nikolaus Scheibli unaufdringlich, aber treffsicher unterbrachte. Seine zwingenden Antikriegsthesen vermittelten sich wie selbstverständlich, und man fragt sich, weshalb sich ihre sympathische Logik im Ernstfall immer wieder so schwer tut. Sitzen im Theater andere Menschen, die dem schalen Glanz johlender Kriegsherrlichkeit weniger leicht erliegen, wie sie Shaw in der Figur von Major Petkoff karikiert? Dabei zeigt Siegfried Flemm in dieser Rolle, wie lästig das alltägliche Kriegshandwerk sein kann, und daß manche Unbequemlichkeiten im Umgang damit nur deshalb in Kauf genommen werden müssen, weil Krieg eben auch nichts anderes ist als „ein bloßes Geschäft.“
Zurück aber zu den verbleibenden Darstellern: Immo Kroneberg bewegt die Rolle des Dieners Nikola mit seiner „kaltblütigen Weisheit“ mühelos zwischen Opportunismus und aussichtsloser Verliebtheit in Diener-Kollegin Luka. Allein der Anblick der jungen Stefanie Knauer in ihrer bulgarischen Tracht, ihrem kecken, selbstbewußten Auftreten und mancher aufreizenden Geste machen die wohl eingestandene Aussichtslosigkeit Nikolas deutlich. Gleichwohl gehören sowohl seine Ausführungen zum Thema „Untergebener“ als auch die an Lisa Doolittle (Pygmalion) erinnernden Gedanken zum weiblichen Selbstbewusstsein zu den besonders geistreichen Szenen in Shaws Komödie. Bleibt schließlich noch Margrit Ensinger als vornehme Majors- Gattin zu erwähnen; ihre auch vom Alter gestützte Würde stand ihr keineswegs im Wege, um das Auseinanderklaffen ihres Standesdünkels einerseits und den damit inkompatiblen, letztlich aber fälligen Partnertausch ihrer Tochter andrerseits in Einklang zu bringen. Für derlei herrschaftliche Geschäfte – und ein Geschäft war es allemal – lassen sich immer standesgemäße Argumente finden.
Alles in allem erlebten wir eine sehenswerte Aufführung im Lindauer Stadttheater, die Darstellung, Aussage und Unterhaltungswert aufs trefflichste zu verbinden wußte.