Der Mensch, das Tier und die Tugend (Luigi Pirandello)

Nikolaus Paryla erweist sich als Libero in übermütigem Spielchen

Was tun, wenn für die weitschweifige Komödie Pirandellos zwei Stunden ausreichen würden, der Einfallsreichtum ihres Hauptdarstellers aber auch nach vier Stunden noch nicht erschöpft gewesen sein dürfte? Mit der dargebotenen Lösung von über zweieinhalb Stunden dürften zumindest die zahlreichen Anhänger von Nikolaus Paryla auf ihre Kosten gekommen sein.

Dieser breitete auch als Regisseur genießerisch die oft skurrilen Übertreibungen des sizilianischen Nobelpreisträgers aus. Südländisches Durcheinander und typischer Straßenlärm trugen das ihre zu einer dichten Atmosphäre bei. Freilich blieb das Gefühl, sich allzuoft im höchsten Drehzahlbereich eines zweiten Ganges fortzubewegen, so doch im fünften manchmal mehr Konzentration auf das emsige Geschehen möglich gewesen wäre.

Voran also mit einem wahrhaft brillanten Nikolaus Paryla, der als Professor einen selbstverständlich ungewollten, aber leider folgenreichen Samenerguss in eine Tat verwandeln muß, welche die unvermeidliche Vaterschaft in den Schoß dessen zurücklegt, der zwar Ehemann der Unglücklichen ist, aus zeitlichen, logischen und Gründen der Einstellung dafür aber eigentlich gar nicht in Frage kommen kann. Oswald Fuchs spielt dieses Macho-Ungeheuer mit solcher Wucht und ungezügeltem Spielwitz, daß die Bejahung der alles entscheiden Fragen nach der einzig in Betracht kommenden Nacht – „hat er oder hat er nicht?“ – schier an ein Wunder grenzt. Oder ist es tatsächlich der Kombination eines Stärkemittels aus der erotischen Abteilung und den zaghaften Verführungsanstrengungen seiner Frau, der Signora Perella (Undine Brixner) zu danken, daß jene Stunde noch anderes als seinen üblichen Schlaf hinter verschlossener Tür bereithielten?

Wie dem auch sei, der Plan gelingt, und trotz der anstrengenden Ablenkungen von zwei Schülern (recht zappelig: Christian Erber und Karl Spoerri) sowie des von Vivian Kanner erstaunlich gut getroffenen elfjährigen Originalsohnes Nonò kommt die Komödie spät zu ihrem Ende.

Luigi Pirandello war – ähnlich wie bei den „Sechs Personen suchen einen Autor“ – natürlich auch bei diesem Stück nicht nur an einer hübschen Geschichte gelegen. Selbst wenn er hier fast des Guten zu viel tut, um der sizilianischen Atmosphäre mit plappernden Dialogen Rechnung zu tragen, so kommt es ihm doch darauf an, erneut zu zeigen, wie wenig für ihn ein scheinbar auf bestimmte Eigenschaften festgelegter Charakter davor gefeit ist, ganz anders zu reagieren, wenn er in entsprechende Situationen kommt. Der „Mensch“ wird zum Heuchler, das „Tier“ wird umworben, und mit der „Tugend“ ist es, verständlich zwar, doch nicht so weit her.

Freilich, freilich – diese etwas plumpe Vorlage Pirandellos an die elf Mitspieler mündet aufgrund der Längen letztlich doch in ein übermütiges Spielchen, in dem sich Nikolaus Paryla – virtuos, gewiß! – als höchst wirkungsvoller Libero erweist, der der Mitarbeit seiner durchaus fähigen Mitspieler kaum bedarf. Lediglich Oswald Fuchs (Capitano) und Vivian Kanner (Nonò) gelingt es, mit größerem Nachdruck auch auf ihre Qualitäten hinzuweisen. Nicht jedes Spiel dauert 90 Minuten, und der kräftige Beifall mag vergessen machen, daß es einige bereits zur Halbzeit verlassen haben.