VHG-Aufführung mit beachtlichem Niveau
Sage keiner, in Lindau würde der etwas aus Mode gekommene Augsburger Bertolt Brecht nicht genügend Zuwendung erfahren: nach einer vor Spielwitz berstenden „Dreigroschenoper“ des „Blauen Katers“ und einer überzeugenden Inszenierung des „Kaukasischen Kreidekreises“ im Stadttheater leistete nun auch das Valentin-Heider-Gymnasium mit dem Grundkurs „Dramatisches Gestalten“ seinen Beitrag zum Todestag des Autors. Man durfte gespannt sein.
„Der gute Mensch von Sezuan“ hatte samstags Premiere, und es war eine der zunächst auf drei angesetzten und sogleich ausverkauften Aufführungen, die nun aufgrund der regen Nachfrage eine vierte erfahren werden.
Für Spielleiter Georg Agneskirchner galt es nebst der beachtenswerten Musikcombo siebzehn Darstellerinnen und fünf Darsteller auf die Erfordernisse einer ehrgeizigen Aufführung vorzubereiten. Eine Aufgabe, die gerade unter schulischen Bedingungen, mehr noch unter der Beengtheit der Eingangshalle als respektabel gelöst bezeichnet werden kann.
Die sinnvoll eingesetzte Beleuchtung, das zweckvolle und atmosphärenreiche Bühnenbild und der gezielte Einsatz der passenden Kostüme zeugten von einer ernsthaften Beschäftigung mit den Vorgaben des Stoffes.
Der Schreiber dieser Zeilen ist sich aus eigener Erfahrung mit Amateurtheater bewußt, daß spätestens an dieser Stelle die Mitwirkenden eine Kritik an den einzelnen Spielleistungen erwarten, die so kurz nach der erfolgreichen Premiere tunlichst gut ausfallen sollte; er weiß auch, daß kritische Anmerkungen der Glaubwürdigkeit halber zwar erwartetet werden, diese dann jedoch möglichst nicht bei sich selber. Er wird es bei einem Teil der Akteure versuchen und dabei voraussetzen dürfen, daß ihm – bei aller Kritik, die ja nur subjektiv sein kann – seine Wohlgesonnenheit jederzeit abgenommen wird.
Dieser bedürfen am wenigsten die treffend besetzten weiblichen Hauptdarstellerinnen: Allen voran Helwi Braunmiller, die die Wasserverkäuferin mit farbenreichem Ausdruck und innerem Engagement gestaltete; ihre Dialoge mit den etwas vordergründig agierenden Göttinnen, die gleichwohl eine leicht-mystische Aura zu schaffen wußten (recht stereotype Handbewegungen bei Elena Francomano, die ziemlich ungleichmäßig zitternde und buckelmachende Marina Rommel), erinnerten in ihrer Intensität an eine Elektra. Stefanie Kaluza und Tina Gutfried setzten die gelungene Idee, die beiden Charakterseiten des „guten Menschen“ gleich auf zwei Personen zu verteilen, überaus glaubwürdig um. Gerade die gutgläubige Shen Te wuchs in der Gestalt von Stefanie Kaluza zusehends, ihre spielerischen Mittel als Ausgenutzte, Gutgläubige, aber auch als Liebende waren beachtlich. Hingegen war die Auswahl an Gestaltungsmöglichkeiten in ihrer ernsten, bisweilen skrupellosen „zweiten Hälfte“ weit geringer; gerade hier aber beeindruckte Tina Gutfried durch eine konsequente Umsetzung dieser Vorgabe.
Mit Sabine Eppinger erwuchs die Witwe Shin zu einer herzhaft „hinterfotzigen“ Rolle, der sie sich mit Temperament und gut abgestimmten Bewegungen widmete. Elvira Kiss als Fliegermutter fiel durch diszipliniertes und rollengerechtes Spiel auf, und auch Christine Zenz schienen die Eleganz und anfängliche Härte der Hausbesitzerin Mi Tzü besonders zu liegen. Sonja Merk schließlich, trotz einer vergleichsweise kleinen Rolle mit beachtlicher Bühnenwirkung und aufmerksamem Mitspiel, sollte der männlichen Rolle des Ma Fu ihre natürliche Stimme leihen – zu sehr lenkt der in aller Regel unbefriedigende Versuch ab, die gut wahrgenommenen Möglichkeiten der Maske und des Kostüms auch noch mit einer verstellten Stimme zu ergänzen.
Blieben also noch die männlichen Darsteller. Auch im Bewusstsein, daß eine Pauschalisierung ihre Tücken hat, so fiel hier im Unterschied zu fast allen weiblichen Kolleginnen ein gewisser Mangel an Tiefe und Geschlossenheit auf. Auch wenn die Spiellust beim stellungslosen Flieger Daniel Schröder unverkennbar, manchmal geradezu ansteckend war, so fehlte ihm neben der gewollten „Oberflächlichkeit“ doch die Bereitschaft, die zahlreichen anderen Facetten adäquat umzusetzen: Auch Felix Schmitt dürfte den schmierigen Barbier noch stärker anpacken, ihm mehr Charakter verleihen – immerhin konnte ihm sein Drang, nach beinahe jedem Satz die Hand in die Hosentasche zu stecken, nach der Pause genommen werden. Daniel Fersch als Schreiner befand sich ständig auf der Höhe des Spielgeschehens, wirkte aber zunächst noch gehemmter, als dies seiner Rolle dienlich ist – vielleicht noch eine Folge seines frühen Auftrittes bald nach Beginn des Stückes. Francis Göltner genoß seine Rolle als Polizist sichtlich, brachte aber durch übertriebenes Hin- und Herlaufen etwas Unruhe in die entsprechenden Szenen. Wie überhaupt die manchmal unkoordiniert wirkenden Auf- und Abgänge eine Folge der kleinen Bühne und der großen Spielerschar zu sein scheint.
Besonders anerkennenswert bei allen Spielern war die Tatsache, daß die Textkenntnisse so gründlich waren, daß man praktisch nie die Angst vor Hängern hatte – bei Laienspielern durchaus nicht selbstverständlich.
Von beachtlichem Niveau zeugten die musikalischen und stimmlichen Beiträge, die der junge Florian Wetter erarbeitet hatte. Mit oft einfachen harmonischen Mitteln und rhythmischen Verschiebungen erzielten er und seine Mitspieler interessante Wirkungen und Effekte, die dem Verlauf des Stückes seinen zusätzlichen Reiz verliehen.
Fazit: Eine sehenswerte Aufführung, die den wertvollen Nachweis erbringt, daß auch junge Schülerinnen und Schüler zusammen mit ihrem Spielleiter ihren Teil zur kulturellen Vielfalt beizutragen vermögen. In einer Qualität immerhin, die es dem Rezensenten erspart, davon zu reden, daß sich alle „redlich Mühe gaben…“