Familie Flöz verzaubert im Stadttheater zum zweiten Mal das Lindauer Publikum
Was für ein Kontrast: tags zuvor das gediegene, spielerisch durchaus ansprechende in „Rommé* mit Ellen und Holger Schwiers und nun diese umwerfende Produktion der Familie Flöz mit „Teatro Delusio“. Zwei recht unterschiedliche Gruppen von Theaterbesuchern hätten da eigentlich aufeinander prallen können. Doch wenn der Eindruck nicht trügt, ist sich der größte Teil des jeweiligen Publikums gar nicht erst begegnet. Was schade ist: Denn feiner, professioneller und einnehmender lässt sich zumindest am Beispiel der Familie Flöz wohl kaum demonstrieren, wie beglückend manche Theaterform sein kann, die so radikal von den üblichen Seh- und Hörgewohnheiten abweicht.
Zunächst führt nämlich die Erwartung nach ordentlicher Sprechkultur ins Leere. Kein einziges Wort verlässt die Lippen der Darsteller. Die Lippen? Sie sind ohnehin nicht zu sehen, denn allesamt sind sie von den unterschiedlichsten Masken bedeckt. Also auch kein Ansatz, um wenigstens über das vermeintlich unerlässliche Mienenspiel zu berichten.
Und doch spielen sich auf der Bühne derart berührende Schicksale ab, dass man froh ist über jeden der zahlreichen originellen Einfälle, die immer wieder mit Sonderbeifall quittiert werden und das Publikum zum Lachen bringen.
Die Truppe zeigt das Leben hinter der Theaterbühne und zwar in Echtzeit. Man erlebt die Akteure vor ihrem Auftritt, eingebildete Sänger oder hochtrabende Primadonnen vor ihrer Arie; nervöse Ballett-Mädchen vor ihrem Tanz, Musiker, die sich gleich bei Stravinsky abarbeiten müssen, und einen Direktor, der über allem schwebt. Vor allem aber drei Bühnenarbeiter Bernd, Bob und Ivan, wahre „Ritter der traurigen Gestalt*, die neben ihrer großen Verantwortung für einen funktionierenden Bühnenbetrieb eben auch ihre Träume, ihre Hoffnungen und ihre unerfüllten Liebesträume zu verarbeiten haben. Und nur einer hat dafür wenigstens sein kuscheliges Tierchen, das ihm Ersatz für versagte Wärme und Nähe bietet.
Die „Familie Flöz“ schafft dazu eine wahre Wunderwelt mit grandiosen Lichteffekten, erhebender Musik in exzellenter Tonqualität und einer Choreographie, die man nur als großes Theater bezeichnen kann. Als Zuhörer ist man gebannt vom perfekten Zusammenspiel dieser Elemente, dem Wechselbad von Gefühlen und dieser Mischung aus atemloser Stille und der permanenten Neugier, was wohl als Nächstes passieren könnte.
Alles, was Theater spannend und erlebenswert macht – Schicksalhaftes, Illusion, Leiden, Liebe und Tod – ist hier komprimiert zusammengefasst und jederzeit mitzuempfinden.
Am Schluss steht dann das eigentliche Wunder dieses grandiosen Theaterabends: All die Musiker, Tänzer, Fechter, Sänger und Bühnenarbeiter, die oftmals gleichzeitig auf der Bühne zu stehen schienen, wurden lediglich von drei Maskenspielern dargestellt: Paco Gonzilz, Björn Leese und Hajo Schüler.
Kein Wunder war es deshalb, dass zum Schluss tosender Beifall ausbrach und sich die Drei dann nicht nur vor ihrem imaginären Publikum bedankten, sondern endlich auch vor den vielen jubelnden Menschen im Saal des Lindauer Stadttheaters. Das hat mit dieser Produktion nicht nur ein Glanzlicht innerhalb seines laufenden Programms gesetzt, sondern die Lust auf solche abweichenden Angebote ganz entschieden beflügelt.