Silberbauer legt die zerstörerischen Terrormethoden der Nazis bloß
Auch wenn der große Publikumsandrang den Beginn um eine Viertelstunde verzögerte, wurden die ungeduldigen Zuschauer erneut mit einer packenden Inszenierung von Zweigs Schachnovelle entschädigt. Und es hat sich gezeigt: Der Zulauf für dieses Stück war berechtigt.
Erst Bruno Jonas, tags darauf der „Menschenfeind“ und dann am Samstag Stefan Zweigs „Schachnovelle“. Befragt, welche dieser drei Veranstaltungen man gewählt hätte, wenn man sich nur für eine davon hätte entscheiden müssen, wäre die Gewissensnot groß. Glücklich, wer alle drei erleben durfte.
Doch nun zur Schachnovelle: Im Jahr 1938 auf einem Passagierdampfer. Einmal mehr erwies sich die tiefe, gekonnt ausgeleuchtete Bühne des Stadttheaters als Ort, auf dem sich die optischen Vorstellungen von Regisseur Frank Martin und Bühnenbildner Eckart Büttner wirkungsvoll umsetzen ließen.
Das Schiffsdeck ist der Ort, wo sich neben anderen Gästen der arrogante Industrielle McConnor und der Arzt Friedrich Hartl begegnen. Diese beiden werden bald eine wichtige Rolle spielen: Ersterer wird das Spielhonorar für Schachweltmeister Mirko Czentovic übernehmen, der an Bord gesichtet wurde, und Letzterer wird nötig sein, weil sich später ein gewisser Dr. Bertram zu einer zweiten Schachpartie gegen den Meister hinreißen lässt. Bernhard Dübe hat den Industriellen dabei etwas überzogen auf die Bühne gebracht, während man Franz Mey den besorgten und sympathischen Nervenarzt jederzeit abnahm.
Bald beginnen nun die aufwühlend gestalteten Szenen, die eindrucksvoll zwischen einem Gefängnis und dem augenblicklichen Aufenthaltsort wechseln.
Szenen, die den Grund für Bertrams phänomenale Schachkenntnisse erklären: die Gestapo hatte ihn monatelang eingesperrt, um den Verbleib wichtiger Dokumente zu erfahren. Um der Einsamkeit und subtilen Folter zu entgehen, lernte er aus einem Schachbuch sämtliche Züge der Großmeister auswendig.
Die Folgen: Schizophrenie, Nervenzusammenbruch und Nervenfieber – aber auch Entlassung aus dem damaligen Gefängnis. Und nun will Bertram unbedingt diese zweite Partie, von der ihm Dr. Hartl dringend abrät. Nie mehr hat er seit dieser Zeit ein Schachbrett angerührt.
Silberbauer ist sichtlich gerührt
Was dann bei diesem Spiel über gestische Einfälle und humorvolle Versatzstücke bis hin zur quälenden Ungeduld und fiebriger Ekstase über die Zuschauer hereinbrach, war schlicht umwerfend. Und es ist dem Mann zu verdanken, der Schachnovelle zu einem besonderen Theatererlebnis gemacht hat, dem Schauspieler Gerd Silberbauer. Er hat die große Bandbreite zwischen dem schüchternen, überaus höflichen Passagier bis hin zum wahnsinnig gewordenen Spieler so glaubhaft umgesetzt, dass einem das eigentliche Anliegen von Stefan Zweigs Novelle wieder bewusst wurde: die zerstörerischen Terrormethoden der Nazis bloßzulegen und am Beispiel des Schachspiels aufzuzeigen, wie kulturelle Errungenschaften durch rassistische Gewalt bedroht sind. Es gab Standing Ovations, über die der abgekämpfte Gerd Silberbauer sichtlich gerührt war.