Ohne Worte erleben Zuschauer ein Theater der anderen Art
Unbequemes aus der Literatur- und Musikgeschichte? Gab es mit Iris Berben. Biographisches zu einem Künstlerleben? Präsentierte Suzanne von Borsody. Große Kammermusik? Bot das Tecchler Trio. „Echtes“ Sprechtheater? Das wird es erst am kommenden Sonntag geben.
Eine „echte“ Theaterinszenierung gab es jetzt aber trotzdem. Sie war der vierte Beitrag zu dem, was Alexander Warmbrunn in Zukunft mit der „Vielfalt der Künste zeigen“ will. Und sie erzählte von einer bitterbösen Geschichte, die gleichzeitig umwerfend komisch war. Erzählte? Sie dauerte zwar 100 Minuten, doch gesprochen wurde kein einziges Wort. Das ergibt als Erkenntnis für die Beurteilung der sprachlichen Qualität der Darsteller: keine, da nicht vorhanden. Wenigstens einen entsprechenden Ausgleich durch umso intensivere Mimik? Fehlanzeige – alle vier Darsteller verwendeten Masken für die 18 Rollen.
Und doch bleibt als Fazit: Das Stück „Hotel Paradiso“ wurde zum umjubelten und vorläufig ersten Höhepunkt der jungen Theatersaison.
Was also war geschehen?
Die international erfolgreiche Theaterkompanie mit dem seltsamen Namen „Familie Flöz“ führte dem begeisterten Publikum eindrücklich vor, wo die eigentlichen Wurzeln des Theaters liegen; und sie erinnerte nebenbei daran, welch herrliche Geschichten uns die stummen Clowns mit ihren traurigen Gesichtern einst „erzählen“ konnten. Weil ein paar Geräusche, eindeutige Gesten und bestimmte Bewegungsabläufe schon genügen können, um für Kribbeln und Gänsehaut zu sorgen.
Komik, Spannung und Ernst
Die Mitglieder und vier Akteure der „Familie Flöz“ gehören zu einer besonders kreativen Spezies von Theaterschaffenden. Sie haben es sich zur Aufgabe gemacht, ihre Stücke gemeinsam zu entwickeln und zur Bühnenreife auszubauen. Aus der Arbeit mit diesen erfahrenen Schauspielern, Regisseuren, Artisten oder Bühnenbildern entsteht dann ein solch hinreißendes Stück wie eben „Hotel Paradiso“, das vor Einfällen, schwarzem Humor und intelligenter Komik nur so strotzt.
Hier wird der Kampf um die Nachfolge eines familiengeführten Hotelbetriebs zu einer hochkarätigen Slapstick-Show voller Spannung, aber auch theatralischem Ernst. Die zahlreichen überraschenden Wendungen geraten dabei nie in den Verdacht, lediglich viele Gags ansammeln zu wollen, sondern sie folgen dabei einer Dramaturgie, die sich zum Finale hin immer stärker verdichtet. Selbst als häufiger Theaterbesucher ist man angesichts der Vielzahl von Möglichkeiten, die für all die unterschiedlichen Ausdrucksformen zum Einsatz kommen, regelrecht überwältigt. Und das gebannte Publikum honoriert das immer wieder mit Szenenapplaus.
Die fantastischen Masken für die einzelnen Rollen erzielten eins ums andere Mal eine ungewöhnlich starke Wirkung. Denn ihre (Un)Taten geraten vor allem deshalb zu einer so seltsam-komischen Mischung aus Tollpatschigkeit und Schicksalsergebenheit, weil sie dabei so ernst und traurig dreinblicken. Die Momente bizarrster Situationskomik reihten sich im Minutentakt aneinander, und mancher Zuschauer mit Sinn für diesen schwarzen Humor konnte manchmal sein Lachen kaum unterdrücken.
„Monty Python meets Alfred Hitchcock“ könnte man das Ganze vielleicht nennen – und das alles ohne ein einziges Wort.
„Hotel Paradiso“ hat zwar die Erwartungen derer, die auf das erste Sprechtheater warteten, bestimmt nicht erfüllten können. Sie wurden dafür aber mit einer packenden Bühneninszenierung mehr als entschädigt. Und vielleicht mit der Erkenntnis, das der Name „Familie Flöz“ durchaus als Synonym, vielleicht sogar als Steigerung für den Begriff „Beredtes Schweigen“ gelten könnte.