Beklemmende Alltagserlebnisse
Wurde die Angst, welche die Seele auffrisst, deutlich? Die Angst, ausgelöst durch den Verstoß gegen diverse Tabus – deutsche, alte Frau heiratet jungen Gastarbeiter aus Marokko? Rainer Werner Fassbinders gleichnamiger Film erlebte vor nunmehr 23 Jahren seine Aufführung. Das Theaterstück entstand nach dem Filmsript. Zahlreiche Zuschauer, darunter viele, die nicht zu den regelmäßigen Theaterbesuchern zählen, ließen sich von der nach wie vor bestehenden Faszination Fassbinders anlocken.
Gewiss hat sich die Haltung gegenüber Ausländern seit den frühen siebziger Jahren in vielen Bereichen verändert; Partnerschaften oder Ehen mit Deutschen gehören längst zum gewohnten Anblick. Da erzielt eine Verbindung von Paaren mit deutlichem Altersunterschied – vor allem, wenn die Frau die weit ältere ist – einen deutlich höheren Aufmerksamkeitswert.
Dass der Grad der Ausländerfeindlichkeit sich trotzdem nicht merklich verändert haben dürfte, liegt mittlerweile jedoch eher an den knapper gewordenen Arbeitsplätzen und der Angst vor Missbrauch unserer Sozialleistungen.
Unter diesen Aspekten merkte man dem Stück sein Alter zweifelsohne an. Wenn es ihm trotzdem gelang, die Zuschauer schon nach kurzer Zeit in seinen Bann zu ziehen, so lag das zunächst an der intensiven und glaubwürdigen Darstellung von Marion Lindt als Emma und Alberto Fortuzzi als Ali. Ihre schlichte Liebesgeschichte, deren selbstverständliche Entstehung und die beklemmenden Alltagserlebnisse teilten sich unmittelbar mit. In der von Anfang an bedrohlichen Atmosphäre, die durch den choreographischen gut agierenden „Chor“ der fünf Mitspieler verstärkt wurde, war gleichwohl die verhängnisvolle Entwicklung spürbar.
Besondere Erwähnung verdient dabei der Einsatz der Beleuchtung, der ein entscheidender Anteil an der Dichte und Wirkung des Stückes zukam.
Bei all den Qualitäten des Stückes blieb aber das merkwürdige Gefühl, ob die geschickte Aneinanderreihung von unerquicklichen Szenen, die das Paar aneinander schweißte, heute noch ausreicht, um auf aktuelle Probleme mit Ausländern hinzuweisen. Vielleicht würde das Ergebnis noch überzeugender ausfallen, wenn den psychologischen Folgen mitmenschlicher Hässlichkeiten mehr Gewicht verliehen würde – dem also, was der Titel mit „Angst essen Seele auf“ so treffend zum Ausdruck bringt.
Die Gefahr, ein notwendiges Theaterstück würde sonst zum Guckkasten dessen werden, was Deutsche sich vor über zwei Jahrzehnten gegenüber Ausländern einfallen ließen, wäre dann vermutlich deutlich geringer.
Nach Ayckbourn und Molière in der gleichen Woche erreichte die Bereitschaft zur Auseinandersetzung mit Themen, die Theater liefern kann, trotz allem seinen Höhepunkt. Dem trug der anhaltende Beifall gebührend Rechnung.