Timon von Athen (Shakespeare)

Geglückter Saisonstart mit Theater-„Mauerblümchen“ von Shakespeare

„Ring frei!“ hieß es mittwochs für die neue Theatersaison. Wer dann als Abonnent Ring II gewählt hatte, konnte sich über eine überaus geistreiche Inszenierung freuen. Sie hat den Besuchern gezeigt, wie man einem Theater-Mauerblümchen – immerhin von Shakespeare – frischen Glanz verleiht.

Einen dieser „Rettungspläne“,  mit denen die Bankenwelt gegenwärtig in Ordnung gebracht werden soll, hätte dieser „Timon von Athen“ gut gebrauchen können. Doch als sein persönliches Finanzsystem – großzügig verteilen, obwohl schon lange nichts mehr da ist-zusammen kracht, ist keiner der bisherigen Nutznießer und Schmarotzer bereit, ihm aus der Patsche zu helfen. Sein Absturz zum Sozialfall ist besiegelt, sein Schicksal als verbitterter Obdachloser nimmt seinen Lauf, und selbst als es mit ihm zu Ende geht, macht er der Menschenverachtung, die ihn mittlerweile erfasst hat, in einer unversöhnlichen Grabinschrift noch einmal Luft.

Derlei Sorgen muss man sich um die Verantwortlichen der aktuellen Krise nicht machen. Sorgen freilich musste sich Vera Sturm darüber machen, wie aus dieser spärlichen Handlung und einer schlichten Moral soviel Funken zu schlagen sind, dass daraus ein solch erfreulicher Theaterabend wird, wie man ihn nun zum Saisonstart erlebt hat. Dazu hat sie das Ganze nicht nur übersetzt und bearbeitet, sondern vor allem Regie geführt. Das Bühnenpersonal wurde von über dreißig auf gerade mal zwei reduziert; dafür gab es mit dem Götterboten Merkur einen Neuzugang, der Shakespeare wohl gefallen hätte – und das lag auch daran, weil der mit Barbara Kratz nicht nur exzellent besetzt war, sondern mit ihr auch eine Darstellerin aufgeboten war, die das Stück mit galligem Humor und spöttischen Zwischenbemerkungen würzte.

Zuschauer als Komplizen

Ihr oblag es auch, die Theaterbesucher bereits im Foyer zu empfangen und sie als Timons Bediensteter zu ermuntern, doch ja von der Gastfreundschaft und der Großzügigkeit ihres Herrn Gebrauch zu machen. Diese Großzügigkeit war dann vor der Bühne höchst real und im Überschwang zu erleben: Norbert Kentrup als Timon und Dagmar Papula als dessen Diener – beide in glänzender Spiellaune – verteilten Dutzende von gefüllten Sektgläsern an die Ankömmlinge. Das war natürlich ein übler Trick und gleichzeitig eine legitime Form des Mitmach-Theaters: Denn ebenso wie Timons Freunde nahmen die Zuschauer diese unerwarteten Gaben gerne an – und machten sich so zu deren Komplizen. Die Absicht, dem Stück durch gelegentlichen Einbezug der Zuschauer mehr Vitalität und Unmittelbarkeit zu verpassen, ging also bestens auf, und es verdient Anerkennung, wie graziös dort getanzt, wie brav dort ein Hund bewacht und wie leidenschaftlich manche Athener Fahne im Parkett geschwungen wurde.

Mag der zweite Teil des Stückes vielleicht ein bisschen zu lang geraten sein – am originellen Finale (garantiert Nicht-Shakespeare) lag es gewiss nicht; und schon gar nicht an Dagmar Papula und Norbert Kentrup, die mit ihrem kongenialen Spiel geradezu als Traumbesetzung für eine Spielweise gelten dürfen, die in Shakespeare’s Globe Theater ihren Anfang nahm, und der jetzt im Stadttheater begeistert applaudiert wurde.