Norway.Today (Igor Bauersima)

Zwei sind „am“ Leben, aber nicht „im“ Leben

„Norway.Today“ ist ein weiterer Glücksgriff des Kulturamts gewesen, mit dem es sein Theaterangebot auch für Jugendliche immer interessanter macht. Auf der voll besetzten Hinterbühne konnte das meist junge Publikum mitverfolgen, wie zwei Jugendliche ihren gemeinsamen Selbstmord inszenieren.

Vom Chat zum Jet: Im richtigen Leben ging die Geschichte, zu der Igor Bauersima durch einen Spiegel-Artikel inspiriert wurde, leider tödlich aus – da flog das junge Mädchen aus Österreich zu seiner Verabredung mit dem norwegischen Chat-Partner, um sich dort – ebenfalls verabredungsgemäß – von einem hohen Fjord zu stürzen.

Das Theaterstück freilich nutzt die traurige Vorlage, um mit lockerer Hand den aufgeworfenen Sinnfragen der beiden Jugendlichen, ihren Motiven und Befindlichkeiten eine lebensbejahende Wendung zu geben; trotzdem bleibt die alles beherrschende Frage „springen sie oder springen sie nicht?“ bis zum Schluss offen. Sie springen tatsächlich, jedoch in die Richtung, aus der sie gekommen waren, und nicht dorthin, wo sie zuvor über die „Flugzeit“ der unter ihnen liegenden 600 Meter philosophiert hatten.

Ihr weiteres Schicksal stand bis dahin buchstäblich auf „gläsernen Füßen“, denn Szene für Szene wurde die Höhe dieses Felsens dadurch anschaulicher, dass die jeweilige Spielbühne um den Abstand von zahlreichen Gläsern erhöht wurde, die dann als Unterlage für die darüberliegende Spielebene dienten.

Banale Romantik vermieden

Franziska Theiner und Maximilian Ulbrich verstanden es als Julie und August hervorragend, solchen Leuten ein Gesicht zu geben, die partout der Meinung sind, nicht unter die Menschen zu passen. Sie – Julie – und ebenso August seien zwar „am“ Leben, aber eben nicht „im“ Leben, und so gäbe es ja im Grunde auch nichts „abzubrechen.“ Nein, wenn schon Selbstmord, dann solle der auch etwas Besonderes sein, etwas, womit niemand rechnet und für den sich auch niemand die Schuld zu geben brauche. So drehen sie sich also wort- und oftmals geistreich um ihre eigene Achse, bis sie irgendwann merken, dass solche Gespräche ziemlich gut tun können. Sie spüren, was Freundschaft bewirken kann, und so kommen sie sich allmählich näher, seelisch und schließlich auch körperlich. Die Beschreibung ihrer erotischen Wünsche gehört zu den besonders schönen Momenten dieser fein und sensibel inszenierten Aufführung. Doch gehört es zum Reiz und auch zum Spannungsgehalt dieses in 20 Sprachen übersetzten Stückes, dass es die Hoffnung auf ein gutes Ende nicht um den Preis einer banalen Romantik erfüllt.

Denn immer wieder blitzen Zweifel an ihrem Vorhaben auf. Der wird noch einmal in jener Szene genährt, wo die beiden versuchen, den Angehörigen eine Videobotschaft zu hinterlassen, ohne letztlich genau zu wissen, woraus diese bestehen soll. Hier findet der Autor erneut zu großer Ausdruckskraft, die sich gerade in der scheinbar hilflosen Sprache ihren Weg bahnt, um die Verlorenheit und Orientierungslosigkeit mancher Jugendlicher fühlbar zu machen. Der begeisterte Applaus am Ende bewies, dass „Norway.Today“ den Nerv der Zuhörer getroffen hatte.